Mittelalterphilologien heute

Diese Tagung findet vom 2. – 4. Dezember 2013 an der Facoltà di Lingue e Letterature Straniere der Università degli Studi di Urbino “Carlo BO” in Urbino statt.

Zielsetzungen

Denjenigen, der sich der anspruchvollen Aufgabe stellt, eine einheitliche Definition für Philologie und insbesondere Mittelalterphilologie heute herauszuarbeiten, kann die Feststellung der Verschiedenartigkeit und häufig sogar Gegensätzlichkeit der Persönlichkeiten und Ansichten ihrer Gründungsväter und Wegweiser wie ein böses Omen treffen. Nach August Wilhelm Schlegel ist die Philologie „ein liberales studium, weil es blosz auf übung und bildung des geistes im allgemeinen abzweckt“. Eine solche Einstellung scheint Jacob Grimm insofern zu teilen, als er sich 1829 nach „frucht bringende(r) musze“ sehnt. Was diesen Pionier der altdeutschen Philologie andererseits in den Augen seines Neffen Herman kennzeichtnet, sei „sein Trieb, facta zu sammeln“. Grimm selbst weist auf eine solche Heterogenität von Einstellungen, Arbeitsstilen und Forschungszwecken hin, wenn er in einer Rede auf Lachmann 1851 behauptet: „Man kann alle philologen, die es zu etwas gebracht haben, in solche theilen, welche die worte um der sachen, oder die sachen um der worte willen treiben“, wobei er Lachmann den letzten und sich selbst den ersten zuordnet.
Und doch steckt gerade in einer solchen Heterogenität ein gemeinsamer Nenner, der das ganze philologische Treiben begründet und bis heute beseelt. Es ist das Bewusstsein über die Komplexität eines jeden menschlichen Phänomens sowie über die Notwendigkeit, einer solchen Komplexität methodologisch gerecht werden zu müssen, wenn man ein menschliches Phänomen als solches erfassen will. Mit anderen Worten weht im interdisziplinären Wesenszug der Philologie auch heute noch ihre humanistische Berufung.
Im Sinne eines solchen Humanismus spricht Grimm auch, wenn er 1831 auf seine Studentenjahre in Marburg zurückblickt:

Ich möchte nun auch den damals unter den Marburger studierenden waltenden geist rühmen; es war im ganzen ein frischer, unbefangener; Wachlers freimüthige vorlesungen über geschichte und literargeschichte machten auf die mehrzahl lebendigen eindruck, und besonders erfreute ein publicum, das er im groszen öffentlichen hörsaal wöchentlich las, sich eines ungetheilten beifalls. die obergewalt des staats hat seitdem merklich mehr in die aufsicht der schulen und universitäten eingegriffen. sie will sich ihrer angestellten fast allzu ängstlich versichern und wähnt, dies durch eine menge von zwängenden prüfungen zu erreichen. mir scheint es, als ob man von der strenge solcher ansicht in zukunft wieder nachlassen werde. zu geschweigen, dasz sie der freiheit des sich aufschwingenden menschen die flügel stutzt und einem gewissen, für die übrige zeit des lebens wohlthätigen, harmlosen sich gehen lassen können, das hernach doch nicht wieder kehrt, schranken setzt; so ist es ausgemacht, dasz, wenn auch das gewöhnliche talent meszbar sein mag, das ungewöhnliche nur schwer gemessen werden kann, das genie vollends gar nicht. es entspringt also aus den vielen studienvorschriften, wenn sie durchzusetzen sind, einförmige regelmäszigkeit, mit welcher der staat in schwierigen hauptfällen doch nicht berathen ist. (…) es ist alles zu viel vorausgesehen und vorausgeordnet, auch im kopf der studierenden. die arbeit des semesters nimmt unbewust ihre richtung nach dem examen; der student musz alle collegia hören, worüber er zeugnisse beizubringen hat, ohne das würde er manche nicht gehört haben, entweder weil ihn der der sie vortragende professor nicht anzieht, oder weil ihn seine neigung anderswohin lenkt. dagegen bleibt ihm beinahe keine zeit übrig diejenigen zu hören, die ihm nicht vorgeschrieben sind. (…) möge es nur den professoren selbst niemals vorgeschrieben werden, was und wie sie lesen sollen!

13 Jahre nach dem Bologna-Abkommen und der darauffolgenden europaweiten Straffung der akademischen Laufbahn werfen Grimms geradezu prophetische Worte dringende Fragen an die Forschungsgemeinschaft auf. Diese Tagung will einer Standortbestimmung der Mittelalterphilologie und ihrer letztendlichen raison d’être heute dienlich sein. Den Rahmen bilden die sogenannten altgermanischen Sprachen und Kulturen. Beiträge, welche sich mit den unten angegebenen oder ähnlichen Themen befassen, sind willkommen.
2014/15 soll eine zweite Tagung folgen, welche die gleichen Themen im Bezug auf die übrigen Sprach- und Kulturbereiche des europäischen Mittelalters angehen wird.

Themenbereiche Mittelalterphilologien

Was sie ist

  • Wissenschaftstheoretische (epistemologische) Grundlagen; fachspezifische Forschungsgegenstände und -methoden

  • Geschichte der Mittelalter-Philologie

  • Heutiger Stand

  • Neueste Tendenzen

  • Die Frage nach dem Sinn. Wozu noch die Mittelalter-Philologie

  • Was für einen Erkenntnisgewinn kann man heute erwarten?

 Der Stellenwert der Mittelalter-Philologie in den europäischen Studiensystemen

  • Hat die Mittelalterphilologie im heutigen Universitätssystem eine Daseinsberechtigung?

  • politische Hintergründe und Implikationen

  • Berufliche Perspektiven

  • Sollte Marktfähigkeit überhaupt ein Parameter sein für den Stellenwert der Mittelalter-Philologien im Universitätssystem?

Ein Wesenszug der Mittelalter-Philologie: Interdisziplinarität

  • Philologie und Philosophie
  • Philologie und Ideologie
  • Philologie und Textkritik (Textbegriff, Autorbegriff…)
  • Philologie und Handschriftenkunde
  • Philologie und Literaturwissenschaft (u.a. Übersetzungswiss./ Rezeptionstheorie)
  • Philologie und Geschichtswissenschaft
  • Philologie und Linguistik
  • Philologie und Editionswissenschaft
  • Philologie und Verlagswesen
  • Philologie und Informatik
  • Philologie und Graphologie

Fallstudien und Forschungsprojekte

Die Mittelalter-Philologie aus der Sicht der StudentInnen

Teilnahmemodalitäten

Gegen Ende des Jahres 2012 wird eine Homepage zur Tagung „Mittelalterphilologien heute“ zur Verfügung stehen: www.filologiemedievali.it

Dort ist die Anmeldung und die Einreichung der Themenvorschläge bis 30. April 2013 möglich. Wir möchten ausdrücklich Nachwuchswissenschaftler zur Teilnahme einladen. Tagungssprachen sind Italienisch, Deutsch und Englisch. Die Einreichung von Vorschlägen zu den obigen Themenbereichen ist aber auch auf traditionellem Wege, postalisch möglich. Die Auswahl wird strikt anonym erfolgen. Ein abstract dazu mit höchstens 400 Zeichen darf aus diesem Grund keinerlei Hinweise auf den Vorschlagenden erhalten. In einem beiliegenden verschlossenen Umschlag sollen folgende Informationen enthalten sein:

Name, Vorname
Akademischer Grad
Institution
Adresse (privat oder dienstlich)

Bitte senden Sie Ihren Vorschlag an folgende Adresse:

Filologie Medievali. Segreteria. All’attenzione Sig. Gianmaria Moino
Dipartimento di Studi Internazionali
Piazza Rinascimento 7
I-61029 Urbino (PU)

Für Rückfragen stehen wir unter folgenden email-Adressen zur Verfügung

alessandra.molinari@uniurb.it

michael.dallapiazza@uniurb.it

Alessandra Molinari – Michael Dallapiazza